Luft wie klebriger Pudding. Pflastersteine im Magen. Summende Hochspannungsleitung um den Hals geschnürt.
Maria heißt ihr gefürchtetes Oh-mein-Gott-was-tue-ich-hier-eigentlich-Gefühl willkommen. Sie kennt es gut. Sie begegnet ihm jede Woche aufs Neue.
Im Strategie-Meeting.
„Wieso zur Hölle ist es so schwer, eine Agenda zu schreiben? Und den Mund zu halten, während jemand redet? Alter, hat euch das eure Mutter nicht beigebracht oder was?“ Maria schlägt die flache Hand an die Stirn.
„Sinnlos, echt.“
Sie kommt einfach nicht zum Sprechen! Dabei hätte sie die Antwort auf die Frage, die die anderen versuchen zu diskutieren, aber die grätschen ihr ständig ins Wort.
„Dann macht euren Mist doch allein!“
Resigniert lehnt sich Maria zurück und fragt sich:
Warum nur ist die Anwendung von Meeting-Regeln so kompliziert?
Jeder kennt Meeting-Regeln.
Keiner kommt daran vorbei.
Und dennoch halten sich die wenigsten daran.
Das Nicht-Einhalten von Meeting-Regeln erfüllt immer eine Funktion oder ein Bedürfnis.
Jedes Handeln ergibt für die Person in dem Moment Sinn.
Zur Erfüllung ihres Bedürfnisses hat die Person noch keine Alternative in ihrem Verhaltensrepertoire.
Maria ist der Meeting-Typ Frau Zauderin.
Sie hockt still und gelangweilt auf ihrem Stuhl.
Sie hat resigniert oder traut sich nicht zu fragen, was das Ziel des Meetings und ihrer Anwesenheit ist.
Stören hasst sie und sie will schon gar nicht als Besserwisserin belächelt werden.
Theoretisch wüsste Frau Zauderin, wie man ein Meeting produktiv gestaltet. In ihren eigenen Meetings wendet sie ihr Wissen an.
Aber wenn sie in Meetings zu Gast ist und diese auch noch von hierarchisch höheren Leuten geführt werden, zieht sie sich zurück und wartet, bis es vorbei ist.
Es gibt noch 6 andere Typen, die Meeting-Regeln verweigern:
Meeting-Typ #2: Herr Abgeschaut
Herr Abgeschaut kennt es von seiner Chefin so: sie packt im Meeting ihre Brote aus, checkt E-Mails, holt sich mittendrin einen Kaffee, liest bei Spiegel online und tuschelt mit ihrem Nachbarn.
Wann immer es passt, lästert sie über Kollegen. Und natürlich verzichtet sie in ihren Meetings auf eine Agenda.
Unbewusst nimmt Herr Abgeschaut das Verhalten seiner Chefin in sein eigenes Repertoire auf. Er benimmt sich in den Meetings, die er leitet oder an denen er teilnimmt, wie ein Abbild seiner Chefin.
Denn er hat gelernt: essen, Kaffee holen, tuscheln – alles ok in Meetings.
Mitarbeiter spiegeln unbewusst immer das Verhalten derjenigen Kollegen, denen sie sich am nächsten fühlen oder von denen sie sich als abhängig wahrnehmen.
Jeder Chef muss daher zuerst bei sich selbst schauen, wenn in seinem Team etwas schief läuft.
Solange genügend Identifikation mit dem Ranghöchsten in der Runde besteht, verbuchen Mitarbeiter das Handeln des Chefs als ungeschriebenes Gesetz.
Dies wirkt sich am deutlichsten aus, wenn die Identifikation des Mitarbeiters mit seinem Chef sehr hoch und seine Selbstreflexion gering ist.
Unreflektierte Mitarbeiter mit abhängiger Persönlichkeitsstruktur sind irrsinnig loyal.
Ihre Abläufe anders zu gestalten, als der Chef es vorlebt, würde bei ihnen unbewusst zu großer innerer Anspannung führen.
Der reflektierte und ausreichend selbstsichere Mitarbeiter wird sich in seinen eigenen Meetings nur gering vom Verhalten des Chefs beeinflussen lassen.
Er hält sich an Meeting-Regeln, wie er es für richtig hält.
Allerdings muss er damit leben, dass die Kollegen durch das Verhalten des Chefs geprägt sind und wahrscheinlich essen, zum Kaffeeautomaten oder zur Toilette laufen, wenn ihnen danach ist.
Meeting-Typ #3: Frau Ram-Pensau
Sie nutzt ihre Meetings als Bühne, sich und ihr Wissen zu präsentieren.
Die sorgfältig ausgewählten Zuschauer belässt sie über das Meeting-Ziel gern im Unklaren.
Denn so kann sie das unvorbereitete Publikum stundenlang mit Präsentationen und Reden beschallen, ohne dass ein Teilnehmer Anspruch auf einen eigenen Redeanteil erhebt.
In ihre Ausführungen lässt Frau Ram-Pensau gern ihre Meinung zu aktuellen Problemen und Geschehnissen einfließen.
Die Zuschauer werden auf diese Weise informiert, wie sie sich positionieren sollen, wenn sie Frau Ram-Pensaus behalten wollen.
Insgeheim ist diese Kollegin ein selbstunsicherer Typ und versucht beinahe verzweifelt, ihre Gefolgschaft zu behalten.
Meeting-Typ #4: Herr Wirrkopf
Unsere Sprache ist der Spiegel unseres Denkens. Menschen, die generell Probleme mit strukturierten Gedankengängen haben, verlieren sich auch im Gespräch gern in ausführlichen Details oder Nebenschauplätzen.
So fällt es Herrn Wirrkopf schwer, Tagesordnungspunkte konzentriert abzuarbeiten.
Wie ein junges Hündchen, das von Blume zu Biene zu Stein zu Stöckchen springen, benötigt Herr Wirrkopf mindestens eine weitere Person, die ihn an die Leine legt und erinnert, bei Fuß zu bleiben.
Meeting-Typ #5: Ms. Starlet
Ms. Starlet kommt vor lauter Meetings nicht zum Arbeiten.
Dabei, und das ist der Unterschied zu Herrn Kopflos, fühlt sie sich unheimlich wichtig, unersetzbar und genießt ein hohes Ansehen im Kollegenkreis.
Klar, wie bedeutend muss jemand sein, um überall seinen Senf dazu geben zu müssen!
Natürlich ein guter Grund für Ms. Starlet, so wenig wie möglich Meetings zu streichen.
Außerhalb der Meetings schafft Ms. Starlet zwar nicht viel.
Das hat aber keine Konsequenzen, denn Ms. Starlet lässt ihren Chef nur einen kurzen Blick auf ihren Google-Kalender werfen, um dann mit hängenden Schultern zu gestehen:
„Ich hatte keine einzige freie Sekunde letzte Woche!“
Der mitleidige Chef wird verständnisvoll-hilflos nicken und eine neue Deadline setzen.
(Aber der schlaue Chef wird fragen: „Und welches Meeting davon war wichtiger als die Aufgabe, die ich dir gegeben habe?“)
Meeting-Typ #6: Herr Wo-steht-mir-der-Kopf
Mit überlaufender Kaffeetasse und Telefon am Ohr sehen wir Herrn Wo-steht-mir-der-Kopf von Meeting zu Meeting galoppieren.
Dieser Typ braucht Ablenkung von seiner Anspannung, die ein Berg von Arbeit, ein bevorstehendes unangenehmes Gespräch oder eine ausweglos erscheinende Situation in ihm auslösen.
Wie ein nächtelang zockender Teenie, der sich weigert für eine Klausur zu lernen, verfällt Herr Wo-steht-mir-der-Kopf in hektische Aktivität. Das gibt ihm das sichere Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.
Häufig parkt sich Herr Wo-steht-mir-der-Kopf in den prominentesten Meetingräumen. Jeder soll sehen, wie besorgt er ist.
Mit großen Gesten beklagt er die furchtbare Situation. Nach 60 Minuten hat er zwar eine Stunde über die Lage palavert, jedoch nicht den winzigsten Schritt in Richtung Lösung unternommen.
Denn es geht ihm in erster Linie um die kurzfristige Reduktion seiner inneren Anspannung.
Meeting-Typ #7: Frau Kontaktbedarf
Diese Dame hat unerfüllte Beziehungsbedürfnisse.
Frau Kontaktbedarf arbeitet oft allein vor sich hin und nutzt das Meeting als Platform zum Auftanken. Die Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Zuwendung und Verbindung können in einer Besprechung bestens gestillt werden.
Im Arbeitsalltag sind die meisten Menschen unterversorgt.
In einer gesunden Meetingkultur sollen deshalb alle diese Bedürfnisse auch bitte ihre Berechtigung haben! Ein bisschen Socializing hilft der Konversation ungemein.
Natürlich darf geklagt, geschimpft, bemitleidet und privat geschnackt werden.
Für 5 Minuten.
Und dann bitte zurück zur hoffentlich vorhandenen Agenda.
Wie kommt Maria nun aus ihrer wöchentlichen Strategie-Misere heraus?
Was kann sie allein überhaupt ändern? Lies hierzu meinen Artikel, wie du dauerhaft eine produktive Meetingkultur im gesamten Team oder Unternehmen etablieren kannst.
Welche der Meeting-Typen habt ihr schon kennengelernt und welche nerven euch am meisten?
19 Comments
Janett
12. August 2017Ein Meeting im Meeting! Das ist auch ein sehr anstrengender Fall.
Tino
10. August 2017Treffend und witzig zugleich geschrieben! Bin gespannt auf mehr!
Ich finde die Herausforderung in Meetings (besonders als Moderator) ist es, selbst mit Agenda und Klarheit im Team darüber wozu ein Meeting einberufen wurde, dass von allen die nötige Nähe zur Agenda eingehalten wird und man nicht unproduktiv abschweift.
Janett
12. August 2017Danke Tino 🙂 Ich bin auch der Ansicht, dass die Klarheit das A und O ist. Nur wenn du absolute Klarheit über das Meetingziel hast, kannst du entscheiden, ob das besprochene Thema gerade zum Ziel beiträgt.
Zwischenrufer stellen die Klarheit gern in Frage oder wollen lieber etwas anderes diskutieren.
Dann hast du möglicherweise versäumt, im Vorfeld in der Einladungsemail oder zu Beginn deiner Präsentation deutlich zu machen, worum es in dem Meeting gehen soll und worum NICHT. Für wichtige Themen, die jetzt gerade nicht dran sind, die die Teilnehmer dennoch bewegen, kann man sich einigen, einen separates Meeting einzuberufen.
Manchmal kommen auch Off-Topic-Diskussionen auf, die im Vorfeld nicht absehbar waren, aber nun notwendig sind, um das Meetingziel zu erreichen. In diesem Fall würde ich checken, ob alle erforderlichen Personen anwesend und Informationen vorhanden sind, um dieses Thema jetzt zu behandeln. Falls nicht, Meeting abbrechen und neuen Termin festlegen, falls doch – weitermachen 🙂
Peppert
10. August 2017Typ 8: Der eingebildete Kranke
Sitzt scheinbar teilnahmslos rum, meldet sich auch bei explizit an ihn gerichteten Fragen nicht zu Wort. Nach dem Meeting regt er sich über selbiges auf und lässt sich über den Inhalt aus – statt sich zu gegebener Zeit im definierten Rahmen konstruktiv einzubringen.
Janett
12. August 2017Oh no, wie nervig! Ich frage mich, welches Bedürfnis sich dieser Typ wohl erfüllt? Was bewiegt Leute dazu, in der Situation zu schweigen und sich hinterher aufzuregen? Aufregen hat immer etwas mit Abwerten von anderen zum Zweck der Erhöhung des Selbst zu tun. Schweigen könnte einerseits Resignation sein und andererseits Unsicherheit, auf wessen Seite man stehen möchte/sollte. Abhängiges Verhalten also. Wer seine Meinung für sich behält, ist auf der sicheren Seite. Man könnte es auch opportunistisch nennen. Ist da irgendwas dabei, was in deinem speziellen Fall zutreffen könnte?
Peppert
13. August 2017Ja, opportunistisch trifft es ganz gut. Keine klare Linie bekennen… ist auch schwierig, wenn selbiges vom Chef nicht (vor)gelebt wird. Letztlich ist es immer wieder interessant, wie sehr sich alles spiegelt – wie von dir schon beschrieben… 🙂 ich freu‘ mich auf mehr!
Janett
14. August 2017Mehr ist schon in Arbeit, meine Liebe 🙂
Gloria
9. August 2017Kommt mir sehr bekannt vor. Hab sogar heute den einen oder anderen gesehen. Auch im Spiegel 😉
Janett
10. August 2017Ich habe eben mit einem Amt telefoniert. Da hatte ich wohl Herrn Wirrkopf am Apparat. Es blieb bis zum Ende des Gesprächs unklar, worauf er eigentlich hinauswill… Werde ihm mal mein E-Book schicken 🙂
Nora
9. August 2017Sehr schön analysiert! Werde mal darauf achten. Ich selber bin glaub ich mehrere. Je nach aktuellem Bedürfnis.
🙂
Janett
10. August 2017Weil ich hier so alleine vor mich hin arbeite, wäre ich im Moment wohl Frau Kontaktbedarf. Aber natürlich nur für 5 Minuten 😉
Ralf
9. August 2017Feiner Artikel, Janett. Rampensäue und Wirrköpfe gibt es viele. Und dann noch die Herr und Frau Einhornsattler, die etwas falsch verstehen oder ein einziges Wort zum Anlass nehmen, um zielstrebig das Einhorn zu satteln und in vollem Gallop verbal gen Regenbogen reiten 🙂
Janett
10. August 2017Danke, Ralf! Herr und Frau Einhornsattler, das gefällt mir, ich musste laut lachen 😀
Meinst du die Leute, die am Ziel vorbeischießen und sich über nebensächliche Details auslassen, so dass das Ziel des Meetings total verwässert?
Janett
9. August 2017Ich bin überzeugt, dass in jedem Meeting mindestens einer sitzt, der weiß, wie es eigentlich funktioniert und der genervt ist, wenn sich die Besprechung sinnlos anfühlt. Diese eine Person muss sich ermächtigt/empowered fühlen, nach dem Ziel des Meetings zu fragen und ob das aktuelle Vorgehen dazu beiträgt. Dieses Empowerment funktioniert aber nur, wenn du eine entsprechende Meetingkultur im Unternehmen etabliert hast. Das heißt, die Chefs gehen mit gutem Beispiel voran und leben diese Meetingkultur in allen großen und kleinen Besprechungen, 1:1s, Teammeetings, Kaffeeautomaten-Talks. Also: worum geht es, wie kann ich beitragen, wie verbleiben wir.
Kab
9. August 2017Gut geschrieben.
Janett
9. August 2017🙂 Yay!
Vici
9. August 2017Schöner Artikel! Einige der Typen kenne ich auch 🙂 Vielleicht müsste man auch nochmal unterscheiden in Meeting-Teilnehmer und Meeting-Leiter. Fräulein Zauder blüht vielleicht nur auf, wenn sie weiß, dass die anderen ihr zuhören „müssen“, weil sie das Meeting einberufen hat? 🙂
LG aus Berlin!
Janett
9. August 2017Stimmt, wenn ich leite, kann ich ganz anders agieren. Weil klar ist, dass ich das Wort hab und die Regeln bestimmen kann. Naja, interessant wird’s, wenn ich beschreibe, wie man so eine Meetingkultur nun tatsächlich im gesamten Unternehmen ausrollt. Das hatte ich in dem Artikel schon vor, aber dann wurde es zu lang… Danke dir, meine Liebe 🙂
Janett
9. August 2017Yay, thanks 🙂
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